Scout
Die zwei Leben des Joachim Schoss
von Lorenz Wagner (Feusisberg/Frankfurt)
Der Internetpionier Joachim Schoss rast durchs Leben und macht mit seinen Ideen Millionen, bis ihn ein Unfall in Südafrika stoppt. Der Scout24-Gründer verliert ein Bein, einen Arm und die Macht. Seine Frau verlässt ihn. Da nimmt er erst richtig Fahrt auf.
Wo bleibt nur Herr Schoss? Das Festkomitee hat seine Sorgengesichter aufgelegt. Längst müsste er da sein. Einige helfende Damen laufen raus. Das Frankfurter Literaturhaus steht in Licht und Säulenpracht. Von allen Seiten drängen Menschen heran, in schwarzem Tuch, mit Krawatten und Seidenschals. Aber kein Herr Schoss.
Bald schlägt es fünf. Im Festsaal versiegen die Plaudereien, und die Gäste tauschen Frageblicke: Was ist da los? Nein, das Komitee kann nicht mehr warten. Wer hält nun die Rede? Wer übergibt den Preis? Doch endlich, als die Begrüßungsmusette schon durch den Saal schwebt, öffnen sich die Türen, und ein großer Mann tritt ein, mit blauem Anzug, Dreitagebart und weizenblondem Wuschelhaar. Joachim Schoss, Präsident der Stiftung MyHandicap.
Mit verrenkten Schritten humpelt er durch den Mittelgang, die linke Hand auf einem Stock, die rechte in der Tasche. So sehen ihn die Ahnungslosen unter den Gästen. Die meisten aber kennen Herrn Schoss, den Firmengründer, Investor und Holdingchef. Sie wissen, dass seine Hand nicht in der Tasche ruht, wissen, dass im rechten Hosenbein eine Titanprothese steckt, und sie wundern sich, wie schnell er gehen kann und wie zufrieden Herr Schoss aussieht, unverschämt zufrieden, für das Unglück, das ihn getroffen hat. Hat er nicht alles verloren? Arm, Bein, Frau und Macht!
Ah, da ist sein Platz, vorn links. Schoss gibt einen Druck auf den Fuß, die Prothese knickt ein, er kann sich setzen. Seine Ohren sind ein wenig röter als sonst. Auf dem Weg hat er sich verfahren. Dabei müsste er sich hier doch auskennen. Nur wenige Meter vom Literaturhaus entfernt hat er seine erste Firma gegründet. Die Tellsell. Lang ist's her. Das war in seinem ersten Leben.
In seinem ersten Leben war Joachim Schoss ein Mann mit zwei Armen, zwei Beinen und ohne Frieden im Herzen. Und betrachtet man ihn so kühl und hart, wie er in dieser Zeit die Welt betrachtete, so sieht man einen Geschäftsmann, der vom Menschen zum Mechanismus geworden war, zu einem Geldvermehrer und Gipfelstreber, der nur so durch sein Dasein hetzte:
++ Geboren 1963 in Essen ++ Klasse übersprungen ++ Einserabi ++ Prädikatsexamen (mit 22 Jahren) ++ Unternehmensberater (mit 23) ++ weißer Porsche ++ eigene Firma (mit 27) ++ Millionär ++ Gründung von Scout24 (mit 34) ++ Internet-Held ++ Geschäfte mit Metrogründer Otto Beisheim ++ Holdingchef ++ Investor von Dutzenden Unternehmen ++
Wie viele Firmen genau, vermag Schoss damals nicht zu sagen, Erbsenzählerei, wichtig war nur eines: "Es musste mehr sein, immer mehr, mehr Firmen, mehr Verantwortung", sagt Schoss. "Ich hatte so einen Omnipotenzgedanken: Ich kann alles managen. Hybris nennt man das, glaube ich."
Hybris = Anmaßung, Selbstüberhebung.
Wie war Schoss da nur reingeraten? "Wenn du um 16 Uhr nicht mit der Arbeit fertig bist, machst du was falsch", hat ihn sein Vater, ein Angestellter der Emschergenossenschaft, gelehrt. Und Schoss stellt sich ein Leben vor, in dem er viel Motorrad fährt und in ferner Zukunft 10.000 DM im Monat verdient. Aber nach den ersten Berufsjahren, nach Beratererfolgen und Bonuszahlungen, verliebt er sich in seine Arbeit und das Geld. Er gründet Firma auf Firma und berauscht sich an seiner Wichtigkeit. Er ist zum Schöpfer aufgestiegen.
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von Lorenz Wagner (Feusisberg/Frankfurt)
Der Internetpionier Joachim Schoss rast durchs Leben und macht mit seinen Ideen Millionen, bis ihn ein Unfall in Südafrika stoppt. Der Scout24-Gründer verliert ein Bein, einen Arm und die Macht. Seine Frau verlässt ihn. Da nimmt er erst richtig Fahrt auf.
Wo bleibt nur Herr Schoss? Das Festkomitee hat seine Sorgengesichter aufgelegt. Längst müsste er da sein. Einige helfende Damen laufen raus. Das Frankfurter Literaturhaus steht in Licht und Säulenpracht. Von allen Seiten drängen Menschen heran, in schwarzem Tuch, mit Krawatten und Seidenschals. Aber kein Herr Schoss.
Bald schlägt es fünf. Im Festsaal versiegen die Plaudereien, und die Gäste tauschen Frageblicke: Was ist da los? Nein, das Komitee kann nicht mehr warten. Wer hält nun die Rede? Wer übergibt den Preis? Doch endlich, als die Begrüßungsmusette schon durch den Saal schwebt, öffnen sich die Türen, und ein großer Mann tritt ein, mit blauem Anzug, Dreitagebart und weizenblondem Wuschelhaar. Joachim Schoss, Präsident der Stiftung MyHandicap.
Mit verrenkten Schritten humpelt er durch den Mittelgang, die linke Hand auf einem Stock, die rechte in der Tasche. So sehen ihn die Ahnungslosen unter den Gästen. Die meisten aber kennen Herrn Schoss, den Firmengründer, Investor und Holdingchef. Sie wissen, dass seine Hand nicht in der Tasche ruht, wissen, dass im rechten Hosenbein eine Titanprothese steckt, und sie wundern sich, wie schnell er gehen kann und wie zufrieden Herr Schoss aussieht, unverschämt zufrieden, für das Unglück, das ihn getroffen hat. Hat er nicht alles verloren? Arm, Bein, Frau und Macht!
Ah, da ist sein Platz, vorn links. Schoss gibt einen Druck auf den Fuß, die Prothese knickt ein, er kann sich setzen. Seine Ohren sind ein wenig röter als sonst. Auf dem Weg hat er sich verfahren. Dabei müsste er sich hier doch auskennen. Nur wenige Meter vom Literaturhaus entfernt hat er seine erste Firma gegründet. Die Tellsell. Lang ist's her. Das war in seinem ersten Leben.
In seinem ersten Leben war Joachim Schoss ein Mann mit zwei Armen, zwei Beinen und ohne Frieden im Herzen. Und betrachtet man ihn so kühl und hart, wie er in dieser Zeit die Welt betrachtete, so sieht man einen Geschäftsmann, der vom Menschen zum Mechanismus geworden war, zu einem Geldvermehrer und Gipfelstreber, der nur so durch sein Dasein hetzte:
++ Geboren 1963 in Essen ++ Klasse übersprungen ++ Einserabi ++ Prädikatsexamen (mit 22 Jahren) ++ Unternehmensberater (mit 23) ++ weißer Porsche ++ eigene Firma (mit 27) ++ Millionär ++ Gründung von Scout24 (mit 34) ++ Internet-Held ++ Geschäfte mit Metrogründer Otto Beisheim ++ Holdingchef ++ Investor von Dutzenden Unternehmen ++
Wie viele Firmen genau, vermag Schoss damals nicht zu sagen, Erbsenzählerei, wichtig war nur eines: "Es musste mehr sein, immer mehr, mehr Firmen, mehr Verantwortung", sagt Schoss. "Ich hatte so einen Omnipotenzgedanken: Ich kann alles managen. Hybris nennt man das, glaube ich."
Hybris = Anmaßung, Selbstüberhebung.
Wie war Schoss da nur reingeraten? "Wenn du um 16 Uhr nicht mit der Arbeit fertig bist, machst du was falsch", hat ihn sein Vater, ein Angestellter der Emschergenossenschaft, gelehrt. Und Schoss stellt sich ein Leben vor, in dem er viel Motorrad fährt und in ferner Zukunft 10.000 DM im Monat verdient. Aber nach den ersten Berufsjahren, nach Beratererfolgen und Bonuszahlungen, verliebt er sich in seine Arbeit und das Geld. Er gründet Firma auf Firma und berauscht sich an seiner Wichtigkeit. Er ist zum Schöpfer aufgestiegen.
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Holger N. Koch - 22. Dez, 16:26
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