GIER
Derivate das Geschäft neben dem Geschäft
Die Finanztricks der städtischen Kämmerer
Die Kämmerei einer Stadt: das klingt ungefähr so spannend wie Kataster- oder Friedhofsamt. Doch: weit gefehlt! Die Kassenwarte unserer Städte und Gemeinden kassieren keineswegs nur Gebühren und zahlen Wohngeld aus; sie zeigen ausgesprochen viel Phantasie beim Umgang mit unseren Steuergeldern. Sie wagen sich aufs glatte Börsenparkett und zocken mit den Geldprofis was das Zeug hält. Was umso mehr erstaunt, als bekannt ist, dass sie eigentlich nichts zu verschenken haben. Die Kommunen sind bettelarm, viele am Rande der Pleite! Da wirkt es fast schon ein wenig wie der letzte Ausweg. Wie wärs mit einem Spielchen, mit einem Glücks-Spielchen....
Jetons auf einem Spieltisch; Rechte: WDR
Es ist etwa so wie beim Roulette, es gibt zwar feste Regeln und es gibt auch Erfahrungswerte in diesem Spiel. Eines gibt es aber nicht: Sicherheit! Dennoch begann die Stadtkämmerei in Hagen vor sechs Jahren damit, sich auf das riskante Spiel mit sogenannten Derivaten einzulassen. Dabei geht es nicht etwa um den Schuldenabbau, sondern - vereinfacht ausgedrückt - um die Spekulation, ob die Zinsen in Zukunft steigen oder fallen.
Der Begriff "Derivat" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet "Ableitung". Gemeint ist damit, dass es sich nicht um ein eigenständiges Geschäft handelt, sondern dass ihm eine andere Transaktion als Rechenbasis zugrunde liegt.
Kommunale Kredite haben sehr lange Laufzeiten (bis zu 30 Jahren) und bleiben durch die Derivate unangetastet. Ihre Schulden können die NRW-Gemeinden mit ihnen also nicht reduzieren. Vielmehr versuchen die Kämmerer, durch Derivate ihre jährliche Zinslast zu senken.
"Derivative Finanzinstrumente" sind eine noch relativ junge Form des Anlagegeschäfts. Gehandelt wird dabei auf etwas, das kaum vorhersehbaren Schwankungen unterworfen ist: zum Beispiel die Zinsen am Kapitalmarkt, die Kurse für fremde Devisen oder die Preise für gehandelte Rohstoffe. Derivate haben den Charakter einer Wette. Die Banken bieten sie den Kommunen in der Erwartung an, damit selbst Geld zu verdienen. Beide Seiten spekulieren also auf eine unterschiedliche Kursentwicklung in der Zukunft. Liegt der städtische Schatzmeister mit seiner Einschätzung richtig, kann er das Stadtsäckel mit dem Gewinn füllen. Liegt er daneben, muss er die Verluste aus dem Stadtsäckel bezahlen. Gerade diese Ungewissheit ist es, die Kritiker wie den Bund der Steuerzahler auf den Plan rufen.
Leere Kasse; Rechte: WDR
Zu den gängigsten Derivatgeschäften von Kommunen gehören Zinsswaps - zu deutsch: Zinstausch. Sie funktionieren so: Eine Stadt hat ein lang laufendes Darlehen mit einem festen Zinssatz über die gesamte Dauer von 30 Jahren, z.B. sechs Prozent. Das ist ärgerlich für die Stadtkasse, wenn, wie im Augenblick, der Zins am Markt niedriger ist. Deshalb bietet die Bank der Stadt einen Zinstausch an. Diese Bank muss nicht der Geldgeber des Kredits sein. Sie "kauft" der Stadt den Zins (nicht den Kredit) gegen einen festen Satz von vier Prozent ab.
Die Laufzeit dieses Tausches wird befristet - z.B. auf fünf Jahre, also nicht so lang wie das zugrunde liegende Darlehen. Ein solch großzügiges Angebot macht die Bank natürlich nicht ohne Gegenleistung. Quasi als "Gebühr" zahlt die Stadt der Bank in bestimmten Abständen einen variablen Zins, z.B. für Sechsmonats-Geld. Je nachdem, ob der variable Zins an den Stichtagen unter oder über vier Prozent liegt, macht die Stadt entweder einen Gewinn oder einen Verlust. Dabei kann das Pendel im Verlaufe des Geschäfts mal in die eine, mal in die andere Richtung ausschlagen.
Börse; Rechte: WDR
Es gibt ungezählte Variationen solcher Zinswetten. Der Phantasie der Banker scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Im Falle von Hagen etwa ist es eine Spekulation darauf, dass die Zinsdifferenz zwischen kurz- und langfristigen Zinsen am Geldmarkt immer einen Mindestabstand von knapp einem Prozentpunkt hat. Doch das ist zur Zeit nicht der Fall, und so fährt die Stadt statt Gewinnen Verluste ein.
Folgende Arten von Derivaten gibt es am Kapitalmarkt:
- Zinsbezogene Geschäfte: Forward Rate Agreement (FRAU), Zinsswaps, Zinsoptionen, Zinsfutures, Caps und Floors
- Währungsbezogene Geschäfte: Devisentermingeschäfte, Devisenfutures, Devisenoptionen, Cross Currency Swaps
- Aktien- bzw. Indexbezogene Geschäfte: Aktientermingeschäfte, Aktienfutures, Indexfutures, Aktienoptionen, Indexoptionen, Aktienswaps, Indexswaps.
- Sonstige Geschäfte: Edelmetalltermingeschäfte, Credit Default Swaps, Credit Default Options oder Wetterderivate(!).
Weitere Beiträge zum Thema:
WDR Glücksspiele mit Zinssätzen - Land und Kommunen machen spekulative Geldgeschäfte
WDR Westpol - Zinsgeschäfte der Kommunen
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Jetons auf einem Spieltisch; Rechte: WDR
Es ist etwa so wie beim Roulette, es gibt zwar feste Regeln und es gibt auch Erfahrungswerte in diesem Spiel. Eines gibt es aber nicht: Sicherheit! Dennoch begann die Stadtkämmerei in Hagen vor sechs Jahren damit, sich auf das riskante Spiel mit sogenannten Derivaten einzulassen. Dabei geht es nicht etwa um den Schuldenabbau, sondern - vereinfacht ausgedrückt - um die Spekulation, ob die Zinsen in Zukunft steigen oder fallen.
Der Begriff "Derivat" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet "Ableitung". Gemeint ist damit, dass es sich nicht um ein eigenständiges Geschäft handelt, sondern dass ihm eine andere Transaktion als Rechenbasis zugrunde liegt.
Kommunale Kredite haben sehr lange Laufzeiten (bis zu 30 Jahren) und bleiben durch die Derivate unangetastet. Ihre Schulden können die NRW-Gemeinden mit ihnen also nicht reduzieren. Vielmehr versuchen die Kämmerer, durch Derivate ihre jährliche Zinslast zu senken.
"Derivative Finanzinstrumente" sind eine noch relativ junge Form des Anlagegeschäfts. Gehandelt wird dabei auf etwas, das kaum vorhersehbaren Schwankungen unterworfen ist: zum Beispiel die Zinsen am Kapitalmarkt, die Kurse für fremde Devisen oder die Preise für gehandelte Rohstoffe. Derivate haben den Charakter einer Wette. Die Banken bieten sie den Kommunen in der Erwartung an, damit selbst Geld zu verdienen. Beide Seiten spekulieren also auf eine unterschiedliche Kursentwicklung in der Zukunft. Liegt der städtische Schatzmeister mit seiner Einschätzung richtig, kann er das Stadtsäckel mit dem Gewinn füllen. Liegt er daneben, muss er die Verluste aus dem Stadtsäckel bezahlen. Gerade diese Ungewissheit ist es, die Kritiker wie den Bund der Steuerzahler auf den Plan rufen.
Leere Kasse; Rechte: WDR
Zu den gängigsten Derivatgeschäften von Kommunen gehören Zinsswaps - zu deutsch: Zinstausch. Sie funktionieren so: Eine Stadt hat ein lang laufendes Darlehen mit einem festen Zinssatz über die gesamte Dauer von 30 Jahren, z.B. sechs Prozent. Das ist ärgerlich für die Stadtkasse, wenn, wie im Augenblick, der Zins am Markt niedriger ist. Deshalb bietet die Bank der Stadt einen Zinstausch an. Diese Bank muss nicht der Geldgeber des Kredits sein. Sie "kauft" der Stadt den Zins (nicht den Kredit) gegen einen festen Satz von vier Prozent ab.
Die Laufzeit dieses Tausches wird befristet - z.B. auf fünf Jahre, also nicht so lang wie das zugrunde liegende Darlehen. Ein solch großzügiges Angebot macht die Bank natürlich nicht ohne Gegenleistung. Quasi als "Gebühr" zahlt die Stadt der Bank in bestimmten Abständen einen variablen Zins, z.B. für Sechsmonats-Geld. Je nachdem, ob der variable Zins an den Stichtagen unter oder über vier Prozent liegt, macht die Stadt entweder einen Gewinn oder einen Verlust. Dabei kann das Pendel im Verlaufe des Geschäfts mal in die eine, mal in die andere Richtung ausschlagen.
Börse; Rechte: WDR
Es gibt ungezählte Variationen solcher Zinswetten. Der Phantasie der Banker scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Im Falle von Hagen etwa ist es eine Spekulation darauf, dass die Zinsdifferenz zwischen kurz- und langfristigen Zinsen am Geldmarkt immer einen Mindestabstand von knapp einem Prozentpunkt hat. Doch das ist zur Zeit nicht der Fall, und so fährt die Stadt statt Gewinnen Verluste ein.
Folgende Arten von Derivaten gibt es am Kapitalmarkt:
- Zinsbezogene Geschäfte: Forward Rate Agreement (FRAU), Zinsswaps, Zinsoptionen, Zinsfutures, Caps und Floors
- Währungsbezogene Geschäfte: Devisentermingeschäfte, Devisenfutures, Devisenoptionen, Cross Currency Swaps
- Aktien- bzw. Indexbezogene Geschäfte: Aktientermingeschäfte, Aktienfutures, Indexfutures, Aktienoptionen, Indexoptionen, Aktienswaps, Indexswaps.
- Sonstige Geschäfte: Edelmetalltermingeschäfte, Credit Default Swaps, Credit Default Options oder Wetterderivate(!).
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Holger N. Koch - 22. Mär, 22:20